11.10.2014 Winnender Zeitung: von Wolfgang Gleich
Schwäbische Comedy „Dui do on de Sell“ in Schwaikheim bejubelt / Überquellende Spielfreude von Binder und Reichenauer
Schwaikheim. Das Damen-Comedy-Duo Petra Binder und Doris Reichenauer zündet ein Feuerwerk aus Witz und Esprit. Als „Dui do on de Sell“ zeigen beide Schauspielerinnen überquellende Spielfreude und ernten damit stürmischen Applaus. Der Funke sprang am Samstag in der Gemeindehalle rasant über.
„Dui do on de Sell“ verstanden es in unnachahmlicher Art und Weise, mit ihrem Programm „Das Zauberwort heißt BITTE!“, Einblicke in die Gedankenwelt und das Seelenleben von zwei Frauen in den besten Jahren zu gewähren. Dennoch war es alles andere als ein Frauenabend. Schließlich erfuhr auch der männliche Teil des Publikums so manch Neues, bisher nur Vermutetes, über das, bis zu einem gewissen Grad auch nach jahrzehntelangem Zusammenleben unbekannte Geschlecht. Zum Beispiel, wenn Doris Reichenauer enthüllt, wie sie „mit Wasserkraft“ zu ihrem neuen Schmuck gekommen ist: „I han so lang plärrt, bis er en kauft hot.“ Überhaupt sei „er“ noch relativ neu, „i han den no net so lang. Aber i zieh mir den schon no.“
Petra Binder und Doris Reichenauer haben ihre Wurzeln in der Calwer Gegend, also im Einzugsbereich der Stadt, in der nicht nur Hermann Hesse geboren wurde, sondern wo im Stadtwald bis heute ein Schafott daran erinnert, dass hierzulande die Obrigkeit das Sagen hat, und was mit denen passiert, die sich nicht daran halten.
Schwaben haben für Hochdeutsch „zu viel Zunge im Mund“
Binder und Reichenauer aber lassen sich ihre schwäbischen Schwertgoschen nicht verbieten. Auch wenn sie sich bewusst vom tagespolitischen Minenfeld fernhalten. Ihr Thema sei der Alltag, erläutern sie vor ihrem Auftritt hinter der Bühne: was sie erleben, mit ihren Männern, mit den inzwischen erwachsenen Kindern, im Alltag, „beim Shoppen in der Königstraße“. Ihre Auftritte entwickeln sie „aus dem Bauch“ heraus. “ Wir greifen die Stimmung und Laune des Publikums auf, gehen spontan darauf ein, improvisieren und passen unser Programm an“.
Und warum auf Schwäbisch? Diese Frage beantworten sie gleich zu Beginn ihres Auftritts: „Unsere Zunge ist nicht dafür ausgelegt, Hochdeutsch zu schwätzen. Dafür haben wir Schwaben zu viel Zunge im Mund.“ „I schwätz gern schwäbisch, aber i ka au nix anders“, bekennt Doris Reichenauer freimütig. Und außerdem gebe es über uns Schwaben nichts Negatives zu sagen. Geizig? – Nein, Schwaben seien nicht geizig, sie kalkulieren nur anders.Und außerdem beharrt Petra Binder, sie selbst sei überhaupt nicht geizig. Sie gebe sogar mehr Geld aus, als ihr Gerhard verdient.
Doris hat ganz andere Probleme: Die neue Freundin vom Junior Kevin, Joanna-Louise, kann sie schon vom Namen her nicht leiden. Was aber noch viel schlimmer ist: Könnte das Mädel womöglich gar schwanger sein?! Aufs Omasein hat Doris überhaupt keine Lust. Eine Sorge, die sich wie ein roter Faden durch das ganze zweieinhalbstündige Programm zieht: „Ist jemand von euch Oma?“ fragt sie hilfesuchend ins Publikum. „Hat man euch gefragt, ob ihr es überhaupt werden wollt? Wie habt ihr euch darauf vorbereitet? Einen Kurs besucht? In der Volkshochschule?“. Schließlich resümiert sie: „Das Schlechteste an der Jugend von heute ist, dass wir nicht mehr dazugehören.“ Petra entlässt das Publikum nachdenklich in die Pause: „Es hängt im Leben halt alles zusammen: Du kannst dir am Hintern ein Haar ausreißen, und dein Auge fängt an zu tränen.“
Wenn die Lachsalven verstummen, taucht noch die beängstigende Frage auf: Ja, ist es denn wirklich so? Was da eben auf der Bühne ablief, ist so authentisch, wirkt so echt, dass man fast vergisst, dass hier gerade Kabarett gespielt wurde: ein erbarmungsloses Spiegelbild des schwäbischen Spießbürgers. Was da von „dere do on der sell“ so ungebremst an sinnfreiem Dauertratsch, an Bosheiten und Lästereien ins Publikum gefeuert wird, funktioniert deshalb so gut, weil’s aus dem Leben gegriffen ist.