Der Schein trügt: Hinter der Fassade der leutseligen Damen verbergen sich zwei ebenso scharfzüngige wie scharfgeistige Lästerweiber, vor denen nichts sicher ist. Auch nicht die Lachmuskeln des Publikums. Foto: Eberhardt Foto: Schwarzwälder-Bote
Von Tina Eberhardt Dornstetten. Mundart-Kabarett – entlarvend, erschreckend und beängstigend authentisch präsentiert, stand auf dem Programmzettel der neuesten Runde von Kultur im Museum.
Als Darsteller gastierten zwei Damen im ausverkauften Bürgersaal, die mittlerweile als Garant für schmerzende Bauchmuskeln und ausgefranzte Ohrmuscheln gelten: „Dui do und de Sell“. Petra Binder und Doris Reichenauer sind die schwäbische Ausgabe der „Desperate Housewifes“, doch mit wesentlich mehr Unerschrockenheit ausgestattet. Peinlich ist den beiden Damen nichts, vor ihnen sicher noch weniger. Wo andere Menschen eine Zunge haben, sitzt bei Binder und Reichenauer ein tödliches Rasiermesser. Mit diesem wird in ihrem neuen Programm „Das Zauberwort heißt BITTE“ alles kleingehackt, was an Großem und Kleinen, Persönlichem und Unpersönlichem die Welt in einem schwäbischen „Flecka“ bewegt, erschüttert, erheitert.
Vor der Welt sind sie wie Pech und Schwefel, untereinander schenken sie sich nichts. Jede Blöße wird zielsicher geortet und beschossen, hinter jedem pflichtbewusstem Trost blitzt die weidlich ausgekostete Schadenfreude hervor. Wo sie sich selbst nicht schonen, bleibt auch dem Publikum nichts erspart. Die Interaktion mit jenem beherrschen die beiden Kabarettistinnen meisterhaft. Zwischen 100 Schuss aus dem verbalen Gewehrlauf gibt es blitzschnell Querschläger auf Männer oder „Reig‘schmeckte“, die unvorsichtig genug waren, sich als solche zu outen. Was andernorts bloßstellend wäre, wird bei „Dui do und de Sell“ zum Ritterschlag, und die johlenden Zuschauer machen freudig mit.
Dabei ist das Programm der beiden Damen ebenso erheiternd wie beklemmend. Denn in der vordergründig trügerisch seicht wirkenden Kabarett-Nummer verbirgt sich ein erbarmungsloser Spiegel der kleinstädtischen schwäbischen Gesellschaft, deren dunkelste Seiten hier als Fratze zutage gefördert werden. Komödiantisch zwar und mit einem soliden lokalpatriotischen Fundament, aber doch nicht weniger erschreckend. Denn was da ungebremst an sinnfreiem Dauertrasch, Bosheiten und Lästereien ins Publikum gefeuert wird, funktioniert deshalb so gut, weil es aus dem Leben gegriffen ist.
Und zwischen Lachsalven und Fremdschämen bleibt ein leises „Au weia“-Gefühl in der Magengegend, denn das da vorne ist so echt, dass man vergisst, dass man im Kabarett ist. Die nahezu dreistündige Kampfhandlung im Tratschen und Lästern muss man als Darsteller erst mal durchhalten. Die Authentizität, mit der Binder und Reichenauer ihr Programm bestreiten, ist dabei gleichermaßen zum Bewundern und Fürchten.
Durchbrochen wurde der Verbalmarathon nur von einer kurzen Pause und einem Szenenbildwechsel zur Fitnessstunde – in diesem Fall ein Synonym für Weitertratschen in stimulierender Umgebung. Knick in der stringent und hintersinnig intelligenten Nummer war lediglich die Zugabe mit einem etwas plumpen Ausflug ins Klischee der rohen, zivilisationsfernen Bäuerin. Der komplette Witz dahinter erschloss sich vielleicht nur eingefleischten „Dui do und de Sell“-Veteranen, von denen es viele im Bürgersaal gab. Diese sahen dem Sketch mit begeisterten Insider-Kommentaren entgegen, der Rest bewunderte während dieser Zeit ein letztes Mal die fast übermenschliche Hirn-Zunge-Interaktion der beiden Lästerweiber. Für beides gab es am Schluss donnernden Applaus.