Doris Reichenauer

Als echter Schwabe wird zuerst mal was Anständiges gelernt!

Schlagersängerin war Doris Reichenauers Kindheitstraum. Das Handwerkszeug kam vom Vater: Er hielt das Kind zum Singen und Klavierspielen an. Zur Musikerkarriere kam es aber schließlich doch nicht. Schuld war der Wilhelm Tell. Der Schulrektor suchte für dessen Aufführung ein Mädel, das singen kann. Und als Doris inbrünstig – vor Lampenfieber – schluchzend vor Reichsvogt Gessler im Staub kniete, war ein neuer Stern am Theaterhimmel geboren. Bis zu dessen voller Erstrahlung sollte es allerdings noch dauern. Denn trotz allen musischen Familienerbes galt auch für die junge Doris: Es braucht einen anständigen Beruf. Und den findet der Schwabe wo? Im Stuttgarter Automobil-Imperium. Bei Daimler in der Entwicklung wurde sie zur technischen Zeichnerin ausgebildet.

Von der Schulbühne zu den Stuttgarter „Stäffelesrutscher“

Aber wenn ein Künstler für die Bühne bestimmt ist, lässt sich das Schicksal nicht aufhalten. Von der Schulaufführung ging es zur Schauspielgruppe des Sportvereins, wo in den wilden Siebzigern die Entdeckung folgte: Paul Hansen, legendärer Schreiber der Stuttgarter Mundartbühne „Stäffelesrutscher“ saß im Publikum; sah, hörte und castete das junge Talent vom Fleck weg. Fortan brachte Doris in Stuttgart die Stäffele zum Wanken. Vorbei waren die Zeiten, als die Bundesliga-Faustballerin, Kunstturnerin und Vollblut-Hexe die Gefährten in der Umkleidekabine mit ihrer Kunst beglückte.

Ein rastlos kreativ-dramaturgischer Geist findet den perfekten Gegenpart…

Als eines Tages Petra Binder auf die Bühne der „Stäffelesrutscher“ stolperte, war das Schicksal besiegelt. Der rastlos kreativ-dramaturgische Geist von Doris Reichenauer hatte seinen Gegenpart gefunden, aus der Berufung wurde Beruf. Heute gehören die beiden schwäbischen Kabarett-Künstlerinnen von „Dui do on de Sell“ zusammen wie Stuttgart und der Mercedes-Stern, der Gipfel der süddeutschen Theater-Landschaft ist erstürmt. Und wie sagte bereits so schön der Tell: „Den schreckt der Berg nicht, der darauf geboren.“